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EUGH erlaubt Vorratsdatenspeicherung in engen Grenzen
Der EuGH hat Ausnahmen vom Verbot der Vorratsdatenspeicherung geschaffen. In Fällen der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und zur Bekämpfung schwerer Kriminalität kann die Vorratsdatenspeicherung in engen Grenzen erlaubt sein. Zugleich bekräftigt er weitgehend sein Verbot von 2016. Die konkreten Auswirkungen auf die deutsche Vorratsdatenspeicherung sind derweil weiter unklar. Sicher ist aber, dass der EuGH die Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts nutzen wird, um seinen Katalog von Ausnahmen zu konkretisieren. Der DAV lehnt die Vorratsdatenspeicherung aufgrund ihrer Grundrechtsintensität und der Gefährdung des Berufsgeheimnisses seit jeher ab und warnt vor neuen weitreichenden Regelungen.
Der EuGH hat am 6. Oktober 2020 in drei Vorlagefragen von Gerichten aus dem Vereinigten Königreich (C-623/17), Frankreich und Belgien (verbundene Rs. C- 511/18, C-512/19 und C-520/18). die 2016 aufgestellten strengen Vorgaben an die Rechtmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung im Prinzip beibehalten. Damals hatte er mit überraschender Eindeutigkeit die allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung verboten, weil sie gegen EU-Recht verstößt.
Erstmals konkretisiert er nun jedoch auch mögliche Ausnahmen – zur Freude der Mitgliedstaaten.
Der EuGH bleibt seiner Rechtsprechung treu – im Grundsatz
Die Grundlinie seiner Rechtsprechung in den Rechtssachen Tele2 Sverige u.a. (Rs. C‑203/15 und C-698/15) behält der EuGH nun ausdrücklich bei und bestätigt insofern die Schlussanträge des Generalanwalts vom Januar 2020 (siehe Gröning/Wildt im Anwaltsblatt).
In den zugrundeliegenden Verfahren hatten sich u.a. die Nichtregierungsorganisationen Privacy International (UK) und La Quadrature du Net (FR) sowie die Kammer der französisch- und deutschsprachigen Anwaltschaften Belgiens (Avocats.BE) gegen die jeweiligen nationalen Vorschriften gewandt, welche den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste vorgaben, Massen-Telekommunikationsdaten zu sammeln und den nationalen Nachrichtendiensten zur Verfügung zu stellen.
In ihren Vorlagebeschlüssen warfen die vorlegenden Gerichte die Frage auf, ob die EU-Grundrechtecharta und die E-Privacy-Richtlinie 2002/58/EG zum Schutz personenbezogener Daten in der elektronischen Kommunikation auf die Pflicht privater Telekommunikationsanbieter, Nachrichtendiensten und der Polizei Internet- und Telekommunikationsdaten ihrer Nutzer aus Gründen der öffentlichen Sicherheit zur Verfügung zu stellen, anwendbar sind.
Dies bejahte der EuGH nun. Er kommt zudem in den Vorlagefragen zu dem Schluss, dass die allgemeinen und unterschiedslos anwendbaren Speichervorgaben aus Großbritannien, Frankreich und Belgien unionsrechtswidrig sind und daher nicht angewandt werden dürfen. Nicht erlaubt ist demnach die in Großbritannien vorgesehene Verpflichtung von Telekommunikationsunternehmen, allgemein und unterschiedslos Verkehrs- und Standortdaten an Geheimdienste und Sicherheitsbehörden zum Zweck des Schutzes der öffentlichen Sicherheit weiterzuleiten. Ebenfalls unzulässig sind die belgischen und französischen Vorgaben zur allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung zu generalpräventiven Zwecken. Der EuGH bleibt hier bei seiner Linie aus Tele2 Sverige und betont die Bedeutung des Grundrechtsschutzes der Betroffenen.
Der EuGH konkretisiert die möglichen Ausnahmen in einem Katalog
Der EuGH nutzt sein Urteil – anders als noch vier Jahre zuvor in Tele2 Sverige – aber auch zur Klarstellung über die Befugnisse, welche die E-Privacy-Richtlinie den Mitgliedstaaten im Bereich der Vorratsspeicherung zu den genannten Zwecken des Schutzes der Sicherheit und der Kriminalitätsbekämpfung eröffnet.
Mitgliedsstaaten dürften Urteil mit gemischten Gefühlen sehen
Zahlreiche Mitgliedstaaten der EU dürften sich über die nun konkretisierten Ausnahmen vom Verbot der allgemeinen Vorratsdatenspeicherung freuen, hatten sie sich doch in der mündlichen Verhandlung im September 2019 vehement dafür ausgesprochen, die kategorische Rechtsprechung des EuGH zu Tele2 aufzuweichen. Die nun vom EuGH vorgesehenen Ausnahmefälle zu Speicher- und Nutzungsmöglichkeiten dürften einigen von ihnen gleichwohl nicht weitreichend genug sein.
Kommt jetzt neue Gesetzgebung von der EU-Kommission?
Nachdem EU-Innenkommissarin Johansson sich positiv zu einer neuen europäischen Gesetzgebungsinitiative geäußert und die EU-Kommission eine Studie über „mögliche Lösungen für die Vorratsspeicherung von Daten“ in Auftrag gegeben hat, ist eine solche neue Gesetzgebung nach der neuen EuGH-Rechtsprechung eher wahrscheinlicher geworden, sind doch die Ausnahmen vom Verbot der allgemeinen Vorratsspeicherung nun klarer gefasst.
Gleichwohl dürfte die Kommission zuvor weiter auf Luxemburg warten, wo aktuell die deutsche Gesetzeslage ebenfalls auf dem Prüfstand steht.
Auswirkungen der EuGH-Entscheidung auf Deutschland
Die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung in §§ 113 a, 113 b TKG aus dem Jahr 2015 liegt derzeit neben dem Bundesverfassungsgericht auch dem EuGH vor:
Die Bundesnetzagentur hatte die Speicherpflichten im Juli 2017 nach einem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH ausgesetzt. Die deutsche Regelung sei „insgesamt mit Unionsrecht nicht vereinbar“, weil die Speicherpflicht „keinerlei Zusammenhang zwischen den auf Vorrat zu speichernden Daten und dem durch das Gesetz verfolgten Zweck der Bekämpfung schwerer Straftaten bzw. der Abwehr schwerwiegender Gefahren für die öffentliche Sicherheit verlangt, sondern unterschiedslos ohne jede personelle, zeitliche oder geographische Begrenzung sämtliche Nutzer der von § 113b TKG erfassten Telekommunikationsmittel erfasst“. Im Hauptsacheverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht die Sache mittlerweile dem EuGH zur Prüfung vorgelegt (C-793/19). Eine mündliche Verhandlung steht in dieser Sache bislang aus.
Das Urteil in den Vorlagen aus Belgien, Frankreich und Großbritannien ist so zwar nicht direkt auf die deutsche Rechtslage übertragbar, doch ist durchaus fraglich, ob der erforderliche Zweck der Kriminalitätsbekämpfung bzw. des Schutzes der öffentlichen Sicherheit in Deutschland hinreichend klar verfolgt wird. Auch fehlt möglicherweise eine hinreichend klare zeitliche Begrenzung der Speicherdauer.
DAV warnt vor europäischer Neuregelung
Der Deutsche Anwaltverein steht der Vorratsdatenspeicherung seit jeher kritisch gegenüber und hält eine Aufhebung der derzeitigen nationalen Regelungen angesichts der Rechtsprechung des EuGH für dringend geboten. Eine mögliche von Mitgliedstaaten und Kommission ins Auge gefasste Neuregelung auf Unionsebene sieht er ebenso kritisch und spricht sich gegen eine unterschiedslose und pauschale Vorratsdatenspeicherung aus.
Für Berufsgeheimnisträger wie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ist die Vorratsdatenspeicherung ein Eingriff in das Anwaltsgeheimnisse, droht doch die massenhafte Speicherung und Nutzung von Daten, die der anwaltlichen Verschwiegenheit unterfallen – und die so den auswertenden Behörden schutzlos preisgegeben sind. Der DAV hatte sich immer wieder dafür eingesetzt, dass für Berufsgeheimnisträger Ausnahmen bereits von der Speicherung gefunden werden müssten – bislang ohne zufriedenstellende Lösung. Der EuGH weist ganz ausdrücklich auf die möglichen beschränkenden Effekte von Vorratsdatenspeicherung auf die freie Meinungsäußerung von Berufsgeheimnisträgern und Whistleblowern hin.
Eine europäische Regelung zur Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung schwerer Straftaten könnte auch aufgrund der mangelnden materiellen strafrechtlichen Harmonisierung (und damit verbunden einer fehlenden gemeinsamen Definition von „schweren Straftaten“) schwere Grundrechtsverletzungen zur Folge haben. In Zeiten zunehmender Eingriffe in Freiheitsrechte gilt es, dies dringend zu vermeiden.
(Quelle: https://anwaltsblatt.anwaltverein.de/de/anwaeltinnen-anwaelte/rechtsprechung/vorratsdatenspeicherung)
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Quelle: https://svdd.de/mitteilung/EUGH_erlaubt_Vorrats%C2%ADda%C2%ADten%C2%ADspei%C2%ADcherung_in_engen_Grenzen
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